Bedürfniskonflikte (Konfliktursache 5/8)

Streitest du noch über die richtige Spülmethode oder erkennst du schon den Bedürfniskonflikt?


Bedürfniskonflikte entstehen, wenn Werte nicht gelebt werden können, weil andere Werte ihnen entgegen stehen. Du willst Ökologie, dein Gegenüber Ökonomie. Er will Sicherheit, sie Freiheit. Die einen wünschen sich Effektivität, die anderen Effizienz. Wer konkurrierende Werte erkennt, kann Konflikten vorbeugen ...


Stell dir vor …

Neuer Tag, neuer Streit. Welch Überraschung, schon wieder Ärger in der Küche. Ihr wollt beide Abwaschen. Soweit so gut, also kein Zielkonflikt. Doch ihr streitet, ob das Spülbecken oder die Spülmaschine dran ist. Du fragst dich vielleicht: Das hatten wir doch schon? Und du erkennst den Methodenkonflikt aus Kapitel 5.2 wieder. Der Unterschied: Was wir jetzt suchen ist die primäre Konfliktursache. Wer diese erkennen will, muss unter den (sichtbaren) Methoden die (unsichtbaren) Bedürfnisse entdecken. Wir sind also auf der Suche nach dem Bedürfniskonflikt.


Theoretisch heißt das …

Wenn sich zwei Menschen auf der Methodenebene streiten, dann geht es selten nur um die Methode. Die Methode ist lediglich eine Art Symptom, das den Blick auf die Ursache des Konflikts verdeckt. Im Beispiel oben sah es so aus: Einer möchte das Geschirr mit der Hand spülen, der andere die Spülmaschine benutzen. Der eine will A, der andere will B. Wir gehen jetzt einen Schritt weiter und fragen: Wieso wählt jemand A statt B oder umgekehrt. Wir suchen also nach den Motiven für eine bestimmte Handlungsweise und stoßen dabei auf Bedürfnisse. 

Bedürfniskonflikte entstehen, wenn beteiligte Parteien unterschiedliche Bedürfnisse, Werte oder auch Motive (die drei Begriffe werden der Einfachheit halber im Folgenden als Synonyme betrachtet) verfolgen und sich diese gegenseitig ausschließen. Wenn dir A wichtig ist – zum Beispiel Ökologie – und deinem Gegenüber etwas anderes oder sogar Gegenteiliges – etwa Ökonomie –, dann entsteht ein solcher Bedürfniskonflikt. Dieser zeigt sich quasi nie auf der Ebene der Bedürfnisse selbst, sondern auf einer der sichtbaren oberen Ebenen, zum Beispiel als Zielkonflikt (Geschirr wegwerfen versus spülen) oder Methodenkonflikt (Spülbecken versus Spülmaschine).

Ein Bedürfnis entspricht dem Verlangen, einem empfundenen oder tatsächlichen Mangel Abhilfe zu schaffen. Mit anderen Worten: Du kommst in Kontakt mit deinem (unerfüllten) Bedürfnis, wenn du feststellst, dass dir etwas fehlt oder dass dich etwas stört. Entweder fehlt etwas Angenehmes oder es stört etwas Unangenehmes.

Bedürfnisse beschreiben somit all das, was einer Person wichtig ist oder was sie braucht. Die große Schwierigkeit besteht darin, dass ein Bedürfnis nicht gesehen werden kann, da es sich um ein abstraktes Konzept handelt. Um ihm auf die Spur zu kommen, können wir nach dem Wozu und Warum fragen. Übertragen auf das obige Beispiel also: »Warum willst du das Geschirr mit der Spülmaschine reinigen?« Wenn die Antwort lautet »Weil es schnell gehen soll«, weißt du, dass es deinem Partner um Effizienz beziehungsweise Geschwindigkeit geht. Deshalb zieht er die Spülmaschine dem Abwasch vor. Würde er sich umgekehrt fürs Abspülen entscheiden, wäre die Begründung vielleicht: »Weil ich möglichst wenig Wasser und Strom verbrauchen will.« In diesem Falle würde es also um Ökologie beziehungsweise Ressourcenschutz gehen.

(Falls du der Meinung bist, dass das Spülbecken weniger Wasser verbraucht als die Spülmaschine, lies optional gleich weiter im nächsten Kapitel oder halte deinen Einwand bis dahin kurz zurück. Der Artikel Glaubenssatzkonflikte widmet sich ausführlich dem Thema Überzeugungen.) 

Abschließend können wir zum Verhältnis »Bedürfnis versus Methode« festhalten: Primär prallen die Bedürfnisse aufeinander, erst sekundär die Methoden. Unsere Wahrnehmung verhält sich jedoch umgekehrt: Zunächst erkennen wir den Methodenkonflikt, dann erst den Bedürfniskonflikt darunter. Genau das macht es so schwierig im Alltag: Wir nehmen uns kaum die Zeit, das verborgene Bedürfnis unter der klar erkennbaren Methode zu ergründen.

Der folgende Infokasten nennt ausgewählte Bedürfnisse, die häufig zu Konflikten führen, wenn sie aus Sicht mindestens einer beteiligten Partei nicht ausreichend erfüllt sind.



Schauen wir uns erneut anhand von fünf Beispielen an, wie sich Bedürfniskonflikte
in der Praxis zeigen können:



Praktisch bedeutet das …

Anders als die offensichtlichen Konfliktursachen 1 bis 4 ist der Bedürfniskonflikt in der Regel schwer zu entdecken. Umso wichtiger, dass dir das gelingt, denn wie wir gesehen haben, erklären dir die einander widersprechenden Bedürfnisse oft erst, warum ihr überhaupt streitet. Mit dem Wissen, dass es sich um einen Bedürfniskonflikt handelt, hast du eine wesentliche Voraussetzung für die Lösung geschaffen – und sei es auch nur eine Kompromisslösung.

Besonders wichtig hierfür ist auch die Unterscheidung zwischen Bedürfnis und Strategie, da beide häufig verwechselt werden. Als Bedürfnis können wir alle inneren Zustände beziehungsweise Notwendigkeiten betrachten, die gegeben sein müssen, damit es uns in der jeweiligen Situation gutgeht. Als Strategie können wir hingegen alle äußeren Prozesse beziehungsweise Handlungen betrachten, die geeignet sind, unsere Bedürfnisse zu erfüllen, also alle Ziele (Konfliktursache 1) und Methoden (Konfliktursache 2). Diese Unterscheidung ermöglicht dir zu klären, wo der Lösungsweg zu suchen ist:

  • Braucht ihr (nur) eine andere Methode, die oft leicht zu finden ist?
  • Oder fehlt es an einem gemeinsamen Ziel, was meistens deutlich schwieriger ist?
  • Oder müsst ihr versuchen, eure unterschiedlichen Bedürfnisse in Einklang zu bringen? Was jedoch manchmal ausgeschlossen sein wird. 

 


Du nimmst mit … 

Bedürfniskonflikte entstehen, wenn äußere Handlungen den inneren Mangel der Beteiligten unterschiedlich befriedigen. Am Beispiel hatten wir gesehen, dass die äußere Handlung »Spülmaschine nutzen« den inneren Mangel (Zeit) des einen Konfliktpartners ausgleichen kann, zugleich aber dem ökologischen Bedürfnis des anderen widerspricht. Wenn also die äußeren Handlungen – ob Ziele, Methoden, Rollen oder Ressourcen – die subjektiv erlebten Mangelsituationen verschärfen, treten Bedürfniskonflikte zutage.

Mit den Bedürfniskonflikten haben wir die erste der vier verborgenen Konfliktursachen kennengelernt. Bei den anderen dreien handelt es sich um Glaubenssatzkonflikte, Haltungskonflikte und Kommunikationskonflikte.